Bild 01
Die Kottingwörther Pfarrkirche St. Vitus, wegen ihrer imposanten Doppelturmfassade zuweilen auch „Der kleine Dom im Altmühltal“ genannt (siehe Bild 01), besitzt eine sehr lange Tradition. Im Mittelalter bildete sie einen religiösen Mittelpunkt im unteren Altmühltal, denn sie gehörte zu den Urpfarreien am östlichen Rand des Bistums Eichstätt und hatte einen großen Einzugsbereich. So ist die Pfarrei beispielsweise älter als die des benachbarten Beilngries und umfasste mindestens das Gebiet der späteren Pfarreien Dietfurt, Töging, Paulushofen, Ottmaring und Hainsberg. Heute schließt sie nur noch die Filialgemeinden Grögling, Leising und Vogelthal mit ein. Wahrscheinlich wurde sie bereits im 9. oder 10. Jahrhundert gegründet, worauf u. a. das Vitus-Patrozinium hinweist, da die Kirchen aus diesem Zeitraum meist einen römischen Märtyrer als Patron haben.
Bild 02
Das erste Gotteshaus war vermutlich ein Holzbau. Um 1183 nahm Bischof Otto von Eichstätt in Kottingwörth eine Altarweihe vor. Dies ist die älteste konkrete Nachricht über die Vituskirche. Kottingwörth selbst wird als „Werede“ (= Wörth, d. h. Insel) im Jahr 1080 in einer Urkunde Kaiser Heinrichs IV. erstmals schriftlich erwähnt. Die heutige Pfarrkirche (Bild 02) wurde von 1760 an errichtet und 1763 vom Eichstätter Fürstbischof Raymund Anton von Strasoldo eingeweiht, worauf dessen bischöfliches Wappen über dem Hochaltar hinweist.
Bild 03
Nach dem Gang durch das Turmtor gegenüber dem stattlichen Pfarrhof aus dem Jahr 1622 ist sofort die Wehrkirchen-Anlage (Bild 03) zu erkennen.
Bild 04
Eine ca. 4 m hohe geschlossene Mauer umgibt immer noch den gesamten Friedhof (Bild 04) rings um den Kirchenbau. Heutzutage sorgt sie für eine angemessene Abgeschiedenheit und Ruhe, in früheren Zeiten diente sie durchaus auch als „Fluchtburg“ bei feindlichen Angriffen in Friedens- oder Kriegszeiten. Im 17. Jahrhundert schmiegten sich niedere Scheunen bzw. Schuppen (sog. Gaden), die Vorräte in solchen Notzeiten aufnehmen konnten, an die Innenseiten der Friedhofsmauer.
Bild 05
Auf der Nordseite des schon angesprochenen Torturms mit Treppengiebeln (Bild 05) ist noch der erhöht liegende Eingang zu sehen, der nur mit einer Leiter zu erreichen war und wohl zum letzten Zufluchtsort führte. Unwillkürlich muss man hierbei an den Bergfried einer mittelalterlichen Burg denken. In die gegenüberliegende Ecke der Mauer, die hier von der Kirche verdeckt wird, wurde 1969 ein Leichenhaus eingefügt.
Bild 06
Im Innern zeigt die Kirche eine spätbarocke Ausgestaltung (Bild 06), der eigentliche Kunstschatz ist jedoch die weithin bekannte Vituskapelle mit ihren frühgotischen Fresken.
Bild 07
Immer wieder begegnet einem der Kirchenpatron St. Vitus. So zeigt ihn das große Deckenfresko (Bild 07), wie er dem Sohn des Kaisers Diokletian zu dessen großen Erstaunen den Teufel austreibt.
Bild 08
Die Befreiung des hl. Vitus aus dem Gefängnis durch Christus höchstpersönlich stellt das Gemälde über der Orgel dar. (Bild 08)
Bild 09
Das Fresko über dem Chor thematisiert die Verherrlichung des Kirchenpatrons. (Bild 09)
Bild 10
Auf dem großen Ölgemälde im Rokoko-Hochaltar erleidet er sein Martyrium im siedenden Ölkessel. (Bild 10)
Bild 11
Die beiden Seitenaltäre sind der Gottesmutter und dem Martyrium des hl. Sebastian gewidmet. (Bild 11)
Bild 12
Die edle Madonnenfigur aus Holz stammt aus der Zeit um 1500. (Bild 12)
Bild 13
Die Kanzel wird vom Apostelfürsten Paulus bekrönt. (Bild 13)
Bild 14
Die beiden Diözesanheiligen zieren die Seitenwände. St. Walburga (Bild 14) mit Äbtissinnenstab, Bibel und einem Fläschchen des sog. Walburgisöls die linke Wand.
Bild 15
St. Willibald, der Bistumsgründer, mit Bischofsstab und Evangelienbuch (Bild 15) die rechte. Beide standen ursprünglich in den großen Nischen der Außenfassade. Aus konservatorischen Gründen wurden sie zu Wandfiguren im Kircheninneren.
Bild 16
Die beiden neuen Statuen in der Außenfassade sind Neuerwerbungen aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. (Bild 16)
Bild 17
Durchaus erwähnenswert ist noch der spätgotische Taufstein aus dem 15. Jahrhundert mit Johannes dem Täufer. (Bild 17)
Die Kreuzwegbilder wie auch die Deckenfresken und Ölgemälde sind sämtlich dem Augsburger Künstler Christian Erhardt zuzurechnen.
Dendrochronologische Untersuchungen (= Jahresringforschung) an Deckenbalken haben ergeben, dass der untere Bereich des Westturms um 1250 erbaut wurde. Er ist somit der älteste Bestandteil der Kirche.
Um 1310 errichtete man jedoch ein neues Längsschiff mit einem östlichen Chorturm samt der Vituskapelle als Altarraum. Wie es mittelalterlicher Kirchenbauweise entsprach, war die Kirche „geostet“, d. h. der Blick in Richtung Hochaltar richtete sich nach Osten, zur aufgehenden Sonne, dem Symbol für den auferstandenen Christus.
Bei einem weiteren Umbau im 16. Jahrhundert wurden die heutigen Obergeschosse mit den Zwiebeltürmen errichtet. Dies verstärkte natürlich noch den äußerst ungewöhnlichen Charakter des Bauwerks: eine Dorfkirche mit zwei hintereinander stehenden Türmen! Erst als im 18. Jahrhundert der mittelalterliche Kirchenraum zu klein geworden war, bekam die Kirche 1760 bis 1763 ihre heutige Form. Das bisherige „geostete“ Langhaus wurde zur Breite des neuen Kirchenschiffes, das nach Norden ausgerichtet ist. Damit war die prägnante Doppelturmfassade entstanden.
Bild 18
Die Vituskapelle (Bild 18) mit den romanisch-gotischen Fresken eines leider unbekannten Künstlers entstand also um 1310. Der quadratische Raum mit seinem weit heruntergezogenen Kreuzrippengewölbe zieht seit jeher die Einheimischen und die zahlreichen auswärtigen Besucher in seinen Bann. Die kunsthistorisch bedeutenden Fresken wurden erst 1891, also weit nach dem Neu- und Erweiterungsbau der Kirche, entdeckt. 1895 wurden sie großzügig renoviert. Die Übermalungen der Frührenaissance gingen dabei gänzlich verloren.
Bild 19
Auch die rote Sockelbemalung (Bild 19) konnte wegen der Wandfeuchtigkeit nicht erhalten werden. Der Putz wurde vor einigen Jahren abgeschlagen, das Mauerwerk getrocknet und neu verputzt. Jetzt ist der Sockel weiß getüncht.
Bild 20
Ältere Fotos der Kapelle zeigen noch weitere Veränderungen. So wurde 1760/61 das Fenster in der Südwand vergrößert. In der Ostwand gab es einst keine schmale Fensteröffnung, sondern eine Nische, die eine sternenbekränzte Marienfigur schmückte (Bild 20). Sie wird heute in der Sakristei aufbewahrt. Allerdings gab es die schießschartenartige Öffnung auch früher; sie wurde 1909 wiederentdeckt. Zudem war bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts der weite Eingangsbogen durch ein kunstvolles Holzgitter mit Tür abgegrenzt.
Bild 21
In den umlaufenden Arkaden im unteren Bereich sind zum einen die zwölf Apostel (Bild 21) zu sehen.
Bild 22
In der anschließenden Arkadensüdseite sind zwei weibliche Heilige mit Salbgefäßen sowie die hl. Margareta mit dem Drachen dargestellt (Bild 22).
Hier sind bei der bereits angesprochenen Vergrößerung des Fensters wohl drei der fünf Frauenfiguren zerstört worden. Vielleicht handelte es sich ja dabei um die fünf „klugen Jungfrauen“, die mit Lampen in der Hand dem Bräutigam entgegengehen. Allerdings sind Zweifel angebracht, denn die Lampen sehen eher wie Ölgefäße aus. Die beiden erhaltenen Figuren sind also mit größerer Wahrscheinlichkeit die Frauen, die in der Frühe des späteren Ostersonntags mit Salbgefäßen zu Jesu Grab kamen. Die noch erhaltene hl. Margarete mit dem Drachen gehörte dann zur Gruppe der sogenannten „drei heiligen Madl“, nämlich „Barbara mit dem Turm, Margarete mit dem Wurm und Katharina mit dem Radl“.
Bild 23
Die Ostseite über der Säulenreihe ist dem Kirchenpatron St. Vitus gewidmet: Er wird dem Kaiser Diokletian (284-305), einem der schlimmsten Christenverfolger des spätröm. Reiches, vorgeführt, zur Folterung zusammen mit seinen Pflegeeltern Modestus und Kreszentia an Pfählen aufgehängt und rechts daneben in einen glühenden Ofen geworfen, während ein Engel schützend seine Hand über ihn hält. (Bild 23)
Bild 24
Links davon, an der Nordseite, zieht über dem eingelassenen Sakramentshäuschen von Loy Hering mit dem Wappen des Bischofs Gabriel von Eyb (1496-1535) eine eindrucksvolle Darstellung des Weltgerichts die Blicke auf sich (Bild 24):
In der Mitte steht der mächtige Erzengel Michael mit der Seelenwaage. Maria, die Gottesmutter, versucht der um Hilfe flehenden Seele in der linken Schale mit einem besonderen Gewicht zu helfen, damit die rechte Schale mit den Sündenlasten, die zusätzlich von zwei Teufeln beschwert wird, nicht nach unten sinkt. Eine sehr schöne Darstellung der Gottesmutter als Fürsprecherin der Menschen. Stellvertretend für das ganze Menschengeschlecht kommen von links die Stammeltern Adam und Eva, um Rechenschaft abzulegen. Sehr interessant ist auch noch, was rechts von der Seelenwägung passiert. Hier werden die verdammten Seelen von Teufeln mit einem Strick in den offenen Höllenrachen gezerrt, darunter auch ein Mönch und ein Bischof(!) – eine erstaunlich gewagte kirchenkritische Aussage in der damaligen Zeit.
Bild 25
Die gegenüberliegende Südseite, die später von einem Fenster durchbrochen wurde, zeigt wohl den hl. Georg und einen anderen heiligen Ritter, vermutlich St. Martin. Zu erkennen ist aber nur mehr die linke Figur, die eigenartigerweise ganz vorne im Nacken des Pferdes sitzt (Bild 25). Eine Folge des Wandbogens oder Absicht? Es ist auch schon vermutet worden, dass der edle Ritter nicht alleine auf dem Ross saß. Vielleicht hatte sich hier ja ein Stifter mit seiner Frau verewigen lassen wollen, die jedoch später in frauenfeindlichen Zeiten wieder übermalt wurde.
Bild 26
Im Gewölbe zieht sofort die größte aller Gestalten, nämlich der in der sog. Mandorla (= man-delförmiger Heiligenschein um die ganze Gestalt) als allmächtiger Herrscher thronende Christus mit den Wundmalen, den Blick auf sich. (Bild 26)
Bild 27
Je zwei Symbolfiguren mit Spruchbändern für die vier Evangelien sind gegenübergestellt: Stier für Lukas und Engel für Matthäus (Bild 27)
Bild 28
Adler für Johannes und Löwe für Markus (Bild 28).
Bild 29
Der vierte Gewölbeabschnitt stellt den hl. Stephanus mit einem Stein und den hl. Laurentius mit einem Rost dar (Bild 29). Hier wie auch bei den übrigen Abbildungen weisen die symbolischen Zugaben auf die Art des erlittenen Martyriums hin.
Auch der Chorbogen wurde noch ausgestaltet. Auf dem schmalen Streifen innerhalb der Kapelle bringen Kain (Garben) und Abel Gott ihr Opfer dar, wobei die göttliche Hand das Lamm Abels segnend annimmt (siehe nochmals Bild 29).
Bild 30
Die breite Innenseite des Bogens ist thematisch zweigeteilt: In der südlichen Wölbung steht der Bistumsheilige St. Willibald (Bild 30).
Bild 31
Ihm gegenüber erleiden zwei andere Bischöfe ihr Martyrium. Es handelt sich vermutlich um den hl. Leodegar, dem die Zähne eingeschlagen werden, und um den hl. Erasmus, dem mit einer Winde auf grausamste Art und Weise die Gedärme herausgezogen werden (Bild 31).
Heute dient der ehemalige Altarraum mit seinem neoromanischen Taufstein als Taufkapelle.
Bis 1868 beherrschte ein künstlerisch äußerst hochwertiger Flügelaltar mit Malereien und Reliefs aus dem Leben einschließlich Martyrium des heiligen Vitus die Ostseite der Vituskapelle. Er steht seither in der Hauskapelle im Palais unseres Bischofs zu Eichstätt. Mit diesem LINK erhalten Sie Informationen in Wort und Bild zu dem Prachtstück.
Der etwas schlankere Westturm mit der Kirchenuhr und seinen vier Glocken sagt den Kottingwörthern seit alters her an, dass der Gottesdienst beginnt, dass ein Mitglied der Pfarrgemeinde verstorben ist, welche Stunde geschlagen hat.
Bild 32
Nicht so gern hören die Kottingwörther die kleine, hell tönende Sterbeglocke. Der angenehme, reine Klang der drei großen Glocken dagegen ist wie Musik in ihren Ohren. Im I. Weltkrieg mussten sie wegen ihrer Reinheit in den Obertönen nicht abgeliefert werden. Im II. Weltkrieg hatte man großes Glück: Die Glocken aus dem 15., 17. und 18. Jahrhundert wurden zwar in den letzten Kriegswochen vom Turm geholt, man erhielt sie aber unversehrt wieder (Bild 32).
Dass die Kottingwörther weder jetzt noch zu früheren Zeiten bereit sind bzw. waren, auf ihren Klang zu verzichten, zeigt eine aufschlussreiche überlieferte Sage:
Als der Eichstätter Bischof dereinst die Herausgabe der großen Kirchenglocke für seinen Dom verlangt hatte, bereuten die einheimischen Männer bald, dass sie ihr Prachtstück mühevoll vom Turm heruntergeholt hatten, und griffen deshalb schließlich bauernschlau zu einer Notlüge. Sie behaupteten, die Zugpferde seien bereits beim ersten Anstieg auf dem tiefen Weg nach Eichstätt überfordert gewesen und sie hätten daher unverrichteter Dinge umkehren müssen. So steht es in der Sage vom „Glockenhügel“. Noch heute trägt die gar nicht so unüberwindliche Bodenwelle diesen Namen.
Abschließend noch einige Eindrücke von unserer Vituskapelle (Bilder 33 bis 36)
Bild 33
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Bild 35
Bild 36