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Serien-Start: „Am Straßen- und Wegesrand“

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Wegen der Coronakrise ist zur Zeit immer noch wenig los in Kottingwörth. Das wird bald wieder anders werden!

Unter dem „Veranstaltungs-Notstand“ hat natürlich auch der Informationsgehalt unserer Homepage zu leiden: Was soll man schreiben, wenn nichts oder kaum was passiert? Der Veranstaltungs-Terminkalender war und ist derzeit noch leer.

Deshalb soll hier eine Info-Serie über unser Dorf gestartet werden. Wir nennen sie „Am Straßen- und Wegesrand“. Sie will über auffällige oder auch unscheinbare Objekte etc. informieren, die für Dorfbewohner/Dorfbewohnerinnen von Interesse sind bzw. sein könnten.

Bei manchen wird natürlich nur altes Wissen aufgefrischt, aber wir haben auch den Ehrgeiz, Neues herauszufinden und mitzuteilen. Dabei weiten wir den Bezugsrahmen immer wieder über den Dorfbereich hinaus aus, um auch Grundsätzliches zur behandelten Thematik mitzuteilen.

So können wir hoffentlich das Wissen über unser Dorf vermehren. Wir wünschen den Lesern viel Spaß dabei! 

 

Wer ist „wir“?

Für die Texte und Fotos dieser Serie zeichnet in erster Linie Josef Wittmann verantwortlich. Für die Veröffentlichung auf der Homepage sorgt Anna Freytag. Beide leisten ihre Beiträge im Einvernehmen mit dem „Verein für Tradition und Kultur in Kottingwörth“ (VfTK).

Das Marterl gegenüber dem Treffer-Stadl

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Erster Beitrag zur Serie „Am Straßen- und Wegesrand“

Die „Alte Salzstraße“ verläuft vom langen Wassersteg kommend an der Kirche vorbei über die Altmühlbrücke und hat dann am Ortsende ihren weiteren Verlauf den Berg hinauf Richtung Amtmannsdorf. Beiderseits finden sich interessante Objekte für unsere kulturhistorische Serie.

Mitten im Dorf steht ganz unscheinbar das steinerne Marterl in der Grünfläche gegenüber dem Treffer-Stadl. Seine obere Hälfte ist eigenartig abgerundet und lässt eine ehemalige Kreuzform vermuten, die für solche Marterl einst üblich war.

Was will und kann es uns heute noch sagen? Aus welcher Zeit stammt es eigentlich? Warum wurde es aufgestellt? Warum gerade hier? Welchen historischen Hintergrund hat es?

Fragen, auf die das steinerne Denkmal keine Antwort gibt. Sollte auf ihm je ein Schriftzug zu sehen gewesen sein, dann ist er jetzt verblichen.

Aber interessierte Passanten können sich ja mit Hilfe der kleinen Infotafel mit dem Titel „STEINKREUZ IN KOTTINGWÖRTH“ unmittelbar daneben informieren. Viel Konkretes zu diesem Marterl ist allerdings darauf nicht zu lesen:

  • Dass es sich hier um ein sogenanntes Sühnekreuz, wahrscheinlich aus der Zeit um 1500, handelt.
  • Dass es wohl ehemals eine Kreuzform statt der Abrundung hatte, da offenbar die Bruchstellen nachgearbeitet wurden.
  • Indirekt wird noch in Frage gestellt, ob es sich hier um den ursprünglichen Standort handelt.

Beim letzten Punkt kann ein Blick in unsere Ortschronik weiterhelfen, genauer in ein Geheft aus Schüleraufsätzen aus den Jahren 1961/1962. Damals haben sich die 7. und 8. Klasse der Volksschule Kottingwörth an einem Schülerwettbewerb zur Förderung der politischen Bildung beteiligt.

Im Beitrag „Dorfverschönerung“ erfährt man nicht nur, dass das Sühnekreuz hier nicht seinen ursprünglichen Standort hatte (siehe die von uns veranlasste Fettdruckpassage), hier steht zudem Schwarz auf Weiß, wann und wie die jetzige Grünfläche mitten im Dorf angelegt wurde:

„Vor einigen Jahren haben die Dörfer im Landkreis mit der Dorfverschönerung begonnen. […] Vor zwei Jahren hat sich auch unsere Gemeinde daran beteiligt. Es wurde in der Dorfmitte ein Rasenplatz angelegt. Zwei Linden standen schon da. Aber Schlamm, Steine und Wasserpfützen gaben kein schönes Bild. Im Winter war das unser Schleifplatz.

An einem Samstag ging es los. Ein Landwirt ackerte die Erde auf. Wir Schulkinder klaubten die Steine ab, Erde wurde angefahren und aus dem Gemeindewald holten die Burschen Stangen für einen Zaun. Der Bürgermeister besorgte Grassamen und bald zeigte sich das erste Grün. Die Hühner der Nachbarn wollten in dem weichen Boden gerne scharren. Aber ein Drahtzaun wehrte es ihnen. Inzwischen besorgte der Bezirksgartenbaufachberater Buschrosen, Zierstauden und Buchenpflanzen als lebendigen Zaun. Ein paar Männer brachten ein altes Sühnekreuz, das jetzt in der Mitte steht. Seitdem blühen die Buschrosen zweimal im Jahr, bis die ersten Fröste die Blüten zerstören. Wir Schulkinder sind den Sommer über öfter an dem Platz, um ihn sauber zu halten und Unkraut zu jäten.

Alle Leute freuen sich an dem Rasenplatz und an den blühenden Rosen und viele sagten schon: „Hätte nicht gedacht, dass aus diesem nassen Fleck so ein schöner Zierplatz werden könnte.“ Im unteren Dorf haben wir noch so eine freie Fläche. Hoffentlich wird diese auch bald zur Dorfverschönerung hergerichtet.“

Mit einem von den Schülern gemalten Bild wurde der Text veranschaulicht und illustriert.

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Auf dieser Grünfläche wurde übrigens früher, wohl bis zu deren „Verschönerung“, der Maibaum aufgestellt, ehe dessen Standort dann bis heute auf die „freie Fläche im unteren Dorf“ verlegt wurde.

Im Jahr 1960 war Kottingwörth noch eine eigenständige Gemeinde (bis 30. April 1978) im damaligen Landkreis Beilngries (bis 1. Juli 1972). Leider wird nicht gesagt, woher die Männer das Sühnekreuz geholt haben, sodass man über den ursprünglichen Standort nichts weiter erfährt.

Hier noch ein konkretes Beispiel zum Thema „Sühnekreuz“:

Es betrifft unser Dorf eher indirekt und steht nicht im Zusammenhang mit dem oben beschriebenen Sühnekreuz. Der Inhalt ist dem GLOBULUS Band 10, Jahrgang 2002 (S. 77), Redaktion Karl Röttel, entnommen:

„Bei Irfersdorf wurde am 8. März 1550 ein Totschlag im Freien verübt. Ein Paulushofener mit Namen Erhard Schreiber hatte an diesem Tage […] Leonhard Kastner, den Älteren, umgebracht. Der Täter wurde auf Schloss Hirschberg inhaftiert.“

Seine Brüder, Verwandten und Bekannten konnten angesichts seiner vier kleinen Kinder Gnade beim Bischof erwirken.

„Das Landgericht Hirschberg setzte in der Verhandlung am 30. April 1551 fest: in der Pfarrkirche zu Kottingwörth, dem Begräbnisort, ein Seelenamt und vier stille Messen, 62 Gulden in drei Raten für Witwe und Kinder, dieselbe Summe als Strafe, zwei Gulden für die Wallfahrt nach Rom und Aachen durch die Dominikaner in Eichstätt, Auswanderung aus dem Amte Hirschberg und Setzung eines 1,20 m hohen und 60cm breiten Steinkreuzes.“

[Anmerkung: Es muss wohl eher „Wallfahrt nach Rom oder Aachen“ heißen.]

Erstaunlich ist, dass der Täter 1551 noch ein Steinkreuz setzen lassen musste, da es anschließend heißt: „1539 ließ das Landgericht Hirschberg alle Steinkreuze, die das bischöfliche Gericht hatte errichten lassen, ohne Angabe von Gründen umlegen.“

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Kottingwörth um die Jahrhundertmitte

Wer zum Thema „Sühnekreuze“ noch mehr wissen will:

Hierzu noch zwei Informationsquellen:

1.Quelle: Dem Mittelalter-Lexikon im Internet kann man zunächst einmal entnehmen, dass ein verhängtes Sühnegeld - wie oben beschrieben – mit der Auflage ergänzt werden konnte, zum Gedenken des Getöteten ein steinernes Sühnekreuz zu errichten.

Zwei Gründe werden genannt:

  1. Alter germanischer Glaube: Die Seele des Erschlagenen kann erst nach dem Setzen eines Steines Ruhe finden.
  2. Neuer christlicher Glaube: Dem plötzlich zu Tode Gekommenen war die Möglichkeit genommen, durch Beichte, Kommunion, Bittgebete für einen „guten Tod“ vorzusorgen.

Um seiner armen Seele möglichst viele Bittgebete Vorübergehender zukommen zu lassen, wurden Sühnekreuze an Kirchen, an vielbegangenen Straßen/Wegen oder an Wegkreuzungen aufgestellt.

So betrachtet ist der Standpunkt unseres Sühnekreuzes gar nicht so schlecht gewählt!

2. Quelle: Ausführlich informiert Josef Auer mit seinem Beitrag
„Totschlagsühnen im Hochstift Eichstätt“ im GLOBULUS Band 15, 2001, S. 15 bis 24.

Hieraus einige Informationen zur damaligen Rechtsprechung und zu den Strafmaßen je nach Schwere der Vergehen:

  1. Leichtere Vergehen wurden mit GELDSTRAFEN geahndet, z. B. Beleidigungen, falsche Maße, Gewichte - etwa bei Bäckern -, Raufereien mit und ohne Verletzungen, außereheliche Schwängerung, Überziehen der Sperrstunde, verbotenes Glücksspiel etc.
  2. Totschlag:
  • Setzung eines Sühnekreuzes; Ort und Größe werden vorgeschrieben
  • Wallfahrt nach Rom oder Aachen; schriftlicher Nachweis nötig; Vertretung möglich (siehe unser obiges Beispiel: durch Dominikaner!)
  • Messen lesen lassen für das Opfer: bis zu 30!
  • Finanzielle Entschädigung der Hinterbliebenen

Es handelt sich also um einen juristischen Vergleich mit Einverständnis der Angehörigen/Verwandten des Opfers.

Beide Seiten beschwören, dass damit alle Feindseligkeiten aufgehoben sind (sog. „Urfehde schwören“). Bis zu neun Personen bürgen für die Durchführung innerhalb eines Jahres (längerer Zeitraum bei den Jahresraten der Geldzahlungen).

Daneben gab es oft SONDERREGELUNGEN:

  • Messen: Bei einigen üben Täter öffentlich Buße. Sie halten eine abgebrochene Kerze als Erkennungszeichen. Nach der Messe geht der Täter mit dem Priester zum Grab, steht daneben oder kniet darauf, bis der Priester das sog. Placebo gesungen hat. Danach bittet er die Hinterbliebenen öffentlich um Verzeihung.
  • Finanzielle Entschädigung: Zahlungen in drei bis vier Jahresraten möglich; oft in gleicher Höhe an die Amtskasse
  1. Raubmord:

Diese Straftat war mit einem Steinkreuz etc. nicht zu sühnen.

Am Beispiel eines Georg Angermair mit bis zu 60 schrecklichen Straftaten wird das grausame, unmenschliche, ja pervers anmutende damalige Strafmaß überdeutlich:

  • Auf dem Weg vom Rathaus zur Richtstätte: Reißen an Brust und Armen mit glühenden Zangen
  • Brechen der Glieder mit dem Rad von unten nach oben (schnellen Tod vermeiden!)
  • Abschlagen beider Hände
  • Noch lebendig ins Rad einflechten
  • Strangulierung am eigens auf das Rad aufgesetzten „Gälglein“
  • Abtrennen des Kopfes
  • Dessen und der beiden Hände Aufstecken auf das Rad
  • Aufhängen am Galgen und den toten Körper öffentlich ausstellen (Raben zum Fraß)

Hier werden also mehrere Hinrichtungsarten miteinander kombiniert!

Prinzip: RACHE/VERGELTUNG und ABSCHRECKUNG durch demonstrativ grausame Bestrafung

 

  1. Bei Hexerei: Scheiterhaufen!

Das ist eine eigene, ganz spezielle Thematik – nicht zuletzt auch im Fürstbistum Eichstätt!

Im Vergleich mit den beiden letzten Strafmaßen ist das Sühneverfahren mit einem Steinkreuz etc. ein überraschend mildes, sozialverträgliches Verfahren.

Schon erstaunlich, welche Geschichten hinter so einem Stein mitten im Dorf verborgen sein können!